Fachforen – Mittwoch, 26. April 2023

10:45 – 12:00

PARALLELE FACHFOREN | Session 2

FF 2.3

Aktivieren, beruhigen, enthemmen? – Doping und Sucht in einer dynamischen Arbeitswelt

Moderation: Jann Schumacher, Bundesamt für Gesundheit BAG

Raum Altmann (OG)

Selbstoptimierung – Hirndoping in der Arbeitswelt    

Prof. Dr. Frauke Jahn 

Wir gehen doppelt so schnell wie früher. Wir schlafen kürzer und nehmen uns weniger Zeit zum Essen. Während der Arbeit und verstärkt durch die Digitalisierung versuchen wir viele Dinge gleichzeitig zu erledigen, werden häufig unterbrochen und fühlen uns starkem Termin- und Leistungsdruck ausgesetzt. Power Naps, drei Nachrichten-Messenger parallel und Quick-Workouts beschleunigen unser Privatleben. Um die vielfältigen Anforderungen besser bewältigen zu können, greifen einige zu mehr als Kaffee, Alkohol und Nikotin.

Unter Hirndoping (auch Neuroenhancement genannt) wird allgemein die Einnahme von verschreibungspflichtigen Medikamenten oder illegalen Substanzen (sogenannten Neuroenhancern) verstanden, um die eigene Leistung zu steigern, wacher zu sein, Ängste zu reduzieren oder die Stimmung aufzuhellen.

Studien zeigen, dass die gewünschte Wirkung von Neuroenhancern auf Gesunde stark überschätzt und die unerwünschten Nebenwirkungen oft vernachlässigt werden. Neuroenhancement wird hier vorgestellt, um für die Gefahren und Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit Neuroenhancement zu sensibilisieren und einer steigenden Akzeptanz und Einnahme von Neuroenhancern in der Arbeitswelt präventiv entgegenzuwirken.   

Betriebliche Alkoholprävention in einer dynamischen Arbeitswelt

Martin Block

Fakten
Viele Menschen in Österreich trinken Alkohol. Für die meisten ist der Konsum ein Genuss, für einige ein Problem. 1 Million Österreicher*innen haben ein problematisches Trinkverhalten und 5 % der erwachsenen Bevölkerung werden als alkoholabhängig eingestuft. Dabei sind mehr als sechzig Krankheiten nachweislich mit regelmäßig erhöhtem Alkoholkonsum assoziiert. Übermäßiger und gesundheitsgefährdender Konsum von Alkohol oder anderen Suchtmitteln beeinflusst die Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsleistung der Mitarbeiter*innen.

Spitzt sich das Problem durch die Pandemie zu?
Mittel- und langfristige Folgen der Pandemie auf den Alkoholkonsum lassen sich bisher nur abschätzen. Einen Anstieg der psychischen Erkrankungen und der dadurch bedingten Fehlzeiten können wir jedoch bereits beobachten. Unterschiedliche Personengruppen sind dabei in sehr unterschiedlichem Maße belastet und betroffen.

Exkurs
Psychische Erkrankungen und problematischer Alkoholkonsum stehen in einer engen Beziehung zueinander. Personen mit affektiven Störungen (z.B. Depressionen oder Angsterkrankungen) erleben vermehrt Belastungen und negative Emotionen. Alkohol wird hierbei häufig zur Selbstmedikation und Bewältigung eingesetzt.

Betriebliche Alkoholprävention in einer dynamischen Arbeitswelt
Wo können wir ansetzen, welche Möglichkeiten gibt es und wie forciert die österreichische Sozialversicherung Betriebliche Alkoholprävention in einer dynamischen Arbeitswelt? Im Rahmen dieses Fachforums sollen Antworten gegeben und länderübergreifend diskutiert werden.

Interessierte Selbstgefährdung und Arbeitssucht – Wirkfaktoren, Zusammenhänge und Prävention

Dr. Maida Mustafić, Dr. Désirée Füllemann

Hintergrund: Die Arbeitsleistung von abhängig Beschäftigten wird in Organisationen ergebnisorientiert gesteuert: Es kommt weniger auf die investierte Arbeitszeit als vielmehr auf das Resultat an. Diese ergebnisorientierte, indirekte Leistungssteuerung beinhalt zwar auch Vorteile für Arbeitnehmende, wie erhöhte Autonomie; gleichzeitig besteht durch erhöhte Verantwortung für unternehmerischen Erfolg eine höhere Wahrscheinlichkeit für potenziell gesundheitsschädliches Verhalten, die sogenannte „interessierte Selbstgefährdung“. Interessierte Selbstgefährdung ist die Bewältigung von arbeitsbezogenen Anforderungen zu Ungunsten der eigenen Gesundheit. Bei interessierter Selbstgefährdung kann zwischen zwei Konstellationen unterschieden werden, abhängig davon, ob die Zielerreichung als realistisch oder unrealistisch wahrgenommen wird (extensivierende vs. vermeidende Strategien). Insbesondere extensivierende Strategien sollten mit dem im Rahmen von bisherigen Studien zum exzessiven Arbeiten häufig untersuchten Phänomen der Arbeitssucht zusammenhängen. Eine Antwort auf die Frage, wie interessierte Selbstgefährdung diagnostiziert und verhindert werden kann, steht in der Forschung und Praxis noch aus.

Ziel: Die vorgestellte Studie diente dem Zweck, ein verbessertes diagnostisches Instrument zur Erfassung der interessierten Selbstgefährdung zu entwickeln und Zusammenhänge zwischen interessierter Selbstgefährdung und Arbeitssucht zu ermitteln. Zum Zeitpunkt des Vortrages wird weiterhin in einem ersten Folgeprojekt ein Online-Assessment- sowie Feedbackinstrument zur Diagnostik und Prävention interessierter Selbstgefährdung in Unternehmen konzipiert.

Methode: Zur Ermittlung der präsentierten Forschungsergebnisse wurden N = 683 abhängig Beschäftigte unterschiedlicher Branchen im Juni 2019 in mehreren Befragungswellen mittels Online-Fragebogen befragt. Die Daten wurden mittels MPlus und SPSS asnalysiert.

Ergebnisse: Wie erwartet zeigten sich zwei Strategiekonstellationen der interessierten Selbstgefährdung; einerseits extensivierend (Verzicht auf Ausgleich in der Freizeit, Arbeiten trotz Erkrankung (Präsentismus), Substanzkonsum zur Stimulation, Arbeiten in der Freizeit, Intensivieren und Ausdehnen der Arbeit, Verzicht auf Pausen bei der Arbeit), sowie vermeidend (Senken der Qualität unter Zeitdruck, Dauerhaftes Senken der Qualität, Vortäuschen, Verzicht auf Austausch bei der Arbeit). Es zeigten sich mittelhohe (vermeidende Strategien) bis hohe Zusammenhänge (extensivierende Strategien) zu Arbeitssucht.

Schlussfolgerung: Interessierte Selbstgefährdung, und insbesondere die Strategiekonstellation der Extensivierung, zeigt mittelhohe bis hohe Zusammenhänge zur Arbeitssucht. Auf der Verhaltensebene eint das exzessive Arbeiten beide Konstrukte. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Konstrukte unterschiedlichen Wirkfaktoren unterliegen, die im Vortrag erläutert und diskutiert werden. Zudem werden als Ausblick erste Ergebnisse des Projektes zur Entwicklung von Online-Diagnostik und Prävention interessierter Selbstgefährdung in Unternehmen vorgestellt.