11:00 – 12:15
PARALLELE FACHFOREN | Session 2
FF2.6
Moderation: Lisa Stern, Österreichische Gesundheitskasse
Input
Willi Haas, Universität für Bodenkultur
Abstract: Technologische und gesellschaftliche Entwicklungen, wie die digitale Transformation, der demographische Wandel oder die zunehmende Individualisierung, verändern die Arbeitswelten. Miteinher gehen gesundheitliche Risiken, die der Aufmerksamkeit bedürfen. Die vorgestellte Studie aus dem iga.Report 44 unterstützt Beratende dabei, die verschiedenen Konzepte und die richtigen Ansatzpunkte für Sicherheit und Gesundheit in neuen Arbeitswelten kennenzulernen und so Risiken gezielt zu adressieren.
Dieser Input stellt die agile Organisation, die Soziokratie und die Holokratie, sowie die evolutionäre Organisation vor. Gemein ist diesen Konzepten die Betonung von Selbstorganisation und Selbstverantwortung der Beschäftigten, die Abflachung von Hierarchien, die stärkere Sinnorientierung und Flexibilität sowie die umfassendere Integration von Leistungspotentialen der Beschäftigten. Bezogen auf diese Konzepte werden drei Ansatzpunkte für die Präventionsarbeit und die BGF ausgearbeitet: Erstens bieten die Merkmale neuer Formen der Arbeitsorganisation Anknüpfungspunkte für die Präventionsarbeit und die BGF. Zentraler Gedanke ist es, die (Gesundheits-)Kompetenzen der Beschäftigten zu entwickeln. Die steigende Selbstverantwortung führt dazu, dass gesundheitliche Themen zunehmend eigenverantwortlich wahrgenommen werden, wofür entsprechende Kompetenzen erforderlich sind. Zweitens ergibt sich ein Ansatz für die Präventionsarbeit und die BGF aus den Veränderungsprozessen im Zuge der Umgestaltung von Arbeitsorganisationen. Gesundheitliche Belastungen sind in Phasen der Veränderung besonders hoch und Präventionsthemen müssen dann entsprechend direkt eingebracht werden. Drittens müssen sich Beratende für Prävention und BGF in den neuen Formen von Arbeitsorganisation zurechtfinden und wissen, wie sie Gesundheitsthemen gezielt einbringen können. Dies gelingt vor allem dann, wenn sich diese Fachleute selbst agile Arbeitsmethoden aneignen.
Freie und rationale Entscheidungen zu treffen, diese Eigenschaft wird dem Menschen zugeschrieben. Verhaltensökonomische Studien zeigen jedoch, dass wir uns häufig nicht nur irrational, sondern auch entgegen den eigenen Interessen verhalten. Vor allem die vielen alltäglichen Entscheidungen werden häufig unbewusst oder nach simplen Faustregeln getroffen.
2008 veröffentlichten Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein ihr Buch „Nudge: improving decisions about health, wealth, and happiness“. Sie beschreiben darin, wie Nudges (dt. sanfte Stupser), den Menschen helfen können, „bessere“ Entscheidungen zu treffen, ohne sie zu bevormunden. Dabei wird die Umgebung, in der eine Entscheidung getroffen wird, so gestaltet, dass die Wahl der erwünschten Option mit weniger Mühe verbunden ist und somit leichter fällt.
Da die Anwendung des Nudging-Ansatzes im Kontext von Prävention und betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF) bislang begrenzt stattfindet, hat sich die Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) dem Thema explorativ genähert und den Nudging-Ansatz auf das Handlungsfeld BGF übertragen. Ganz nach dem Motto „testing – learning – adapting – sharing“ soll zur kreativen Entwicklung von Nudges in der betrieblichen Gesundheitsförderung anregt werden.
Eine aktuelle Studie der WHO (2020) bestätigt, dass Dauersitzen – und damit einhergehend, ein akuter Bewegungsmangel – zum menschlichen Alltag gehören. Besonders COVID-19 hat diesen Trend weiter verstärkt. Da Bewegung aber zahlreiche positive Effekte nachgesagt werden, und der Arbeitsplatz vermehrt als Ort der Gesundheitsförderung anerkannt wird (Koinig & Diehl, 2021), gilt es, Beschäftigte mittels entsprechender kommunikativer Maßnahmen zur Bewegung zu motivieren.
Um die Effektivität von Gesundheitsbotschaften (inkl. Gesundheitskampagnen und -interventionen) zu erhöhen, gilt es, neben theoretischen Konstrukten (wie z.B. der Stärkung der Self-Efficacy oder Calls to Action; Baumann et al., 2014; Hastall, 2019) auch auf Spezifika der jeweiligen Zielgruppe(n) einzugehen (Cho, 2012). Im Rahmen des Input-Vortrags werden einige Strategien für zielgruppenspezifische Kommunikation vorgestellt und mit Hilfe von Beispielen näher beleuchtet. Die Maßnahmen umfassen u.a. Personalisierung (persönliche Ansprache der Zielgruppe), Targeting (zielgruppenrelevante Ansprache und Inhaltsaufbereitung), Tailoring (individuelle und „zugeschnittene“ Kombination aus Kommunikations- und Verhaltensänderungsstrategien), Gamification (Integration von spieltypischen Elementen in spielfremde Kontexte), Nudging („sanftes Anstubsen“; subtile Kommunikationsform; Kalch & Wagner, 2020).
Mit der Digitalisierung verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zunehmend. Diese Flexibilität bietet für Unternehmen und ihre Mitarbeitenden viele Vorteile. Sie kann jedoch auch zur Belastung werden, wenn die Arbeit zu sehr ins Private vordringt. Organisationen und Mitarbeitende brauchen daher Lösungen für einen sinnvollen Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien und eine klare Abgrenzung zwischen den verschiedenen Lebensbereichen.
Anhand des Fallbeispiels der „Always-On-Kultur“ in Unternehmen widmet sich dieser Beitrag der Entwicklung eines Nudging-Konzeptes in der Praxis der Betrieblichen Gesundheitsförderung. Dazu werden die Teilnehmenden durch den Handlungsleitfaden des iga.Reports 38 geführt und zum Transfer in die eigene Arbeit angeregt. Der Einsatz von Nudges wird dabei kritisch reflektiert. Abschliessend werden Best- und Worst-Practice Beispiele zur Umsetzung von Nudges aus der Beratung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung diskutiert.